STIMMUNGSBILDER – Teil 6



Helga Haingartner
Friseur Trotzkopf

Im Interview berichtet Helga Haingartner, Inhaberin des Friseurs Trotzkopf in Graz, von den von den Herausforderungen denen sie sich seit Beginn der Corona-Krise gegenübersieht. Bei den Stimmungsbildern geht es um eine authentische Wiedergabe der Erlebnisse und Sichtweisen von Unternehmern im Bezug zum Zeitgeschehen im Moment des Gesprächs. Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich festhalten, dass diese Gespräche mit Unternehmern aller Couleur erfolgen und daraus nicht zwingend eine Nähe zu unserer Organisation oder eine bestimmte politische Zugehörigkeit abgeleitet werden kann.

 

Helga Haingartner in ihrem Friseurgeschäft Trotzkopf in Graz

Helga Haingartner in ihrem Friseurgeschäft Trotzkopf in Graz

Beim ersten Lockdown hatte ich noch großes Vertrauen in die Versprechen der Regierung. Mittlerweile weiß ich, dass außer dem Härtefallfonds der WKO nichts wirklich funktioniert. So habe ich bis heute aus dem ersten Lockdown noch immer keinen Fixkostenzuschuss erhalten. Nur deshalb habe ich einen Kredit aufnehmen müssen, einen Kredit, den ich unter normalen Umständen nie benötigt hätte. Seit Jänner muss ich darauf schauen, dass ich mir monatlich 420 Euro zurücklegen kann, weil im Juni dann 2.500 Euro auf einmal fällig werden. Und wie jeder weiß, mussten die Friseure im Jänner ja zugesperrt lassen. Wie soll ich da Geld verdienen, wenn ich nicht arbeiten darf? Zumindest habe ich nichts stunden lassen, also weder Miete, SVS noch die Einkommenssteuer.

Pro Lockdown verliere ich jedes Mal mindestens 20 bis 30 Kunden. Nach dem letzten Lockdown habe ich alle angeschrieben, da habe ich keine Antwort bekommen. Die Leute wandern wahrscheinlich in den Pfusch ab. Die Stammkunden, die vorher gekommen sind kommen auch heute noch. Aber jene, die einen Anlass gebraucht haben, zum Beispiel eine Familienfeier, ein neues Date oder mit dem Partner schick essen gehen, die fallen jetzt alle weg.  Teilweise ist manchen ihr Aussehen auch nicht mehr so wichtig. Ohne Veranstaltungen, Gastronomie und mit eingeschränktem Privatleben, wer soll sich da bitte noch für wen schön herrichten? Und jene, die in dieser Zeit ebenfalls Einbußen hatten oder ihre Arbeit verloren haben, die kommen natürlich auch nicht mehr. Die Leute fragen mich oft: „Na, wie geht es Dir?“ Wenn ich dann mit „danke, nicht so gut“ antworte kommt sofort die Antwort „Brauchst nicht jammern, kriegst ja eh alles ersetzt“. Beim nächsten Mal habe ich dann geantwortet „Danke gut, ich bekomme eh alles bezahlt“. Worauf die Antwort war: „Na so wird es auch nicht sein.“ Es ist völlig egal. Sagst du die Wahrheit glauben sie dir nicht und sagst du etwas anderes, glauben sie dir auch nicht. Die hören in den Medien ja ständig nur, was für tolle Hilfen es für uns Selbstständigen gibt. Was in der Zeitung steht und in den Nachrichten kommt, das ist die neue Wahrheit.

Ich hatte Kunden, die monatlich zum Färben gekommen sind, die waren voriges Jahr genau dreimal da. Jeder zweite Anruf, den ich erhalte beginnt mit der Frage „Brauche ich bei dir einen Test?“. Ja natürlich, alle die zu mir kommen brauchen einen Test. Von drei oder vier Anrufen kommt dann einer. Wie gesagt: Manche Kunden sind loyal geblieben, viele aber auch nicht. Hier im Kalender: Heute habe ich zwei Kunden, am Freitag zwei und am Samstag niemanden, so geht das weiter. Von den wenigen Kunden könnte ich mein Geschäft nicht erhalten.

Ich habe ein zweites Gewerbe, das Plakatierungsgewerbe. Wenn ich das nicht hätte, hätte ich wohl nicht mehr aufgesperrt. Die letzten Jahre habe ich 75 % meines Umsatzes schon mit dem Plakatieren erwirtschaftet. Das allerdings hat sich wiederum negativ auf meine erhaltenen Hilfszahlungen ausgewirkt, weil deshalb die Differenz zwischen dem Einkommen der Vorjahre aus dem Friseurgeschäft und den Corona bedingten Einbußen geringer war. Nachdem das Plakatieren ja möglich war, gab es für diesen Bereich keine Hilfsgelder. Aber nachdem fast alle Veranstaltungen abgesagt und meine Aufträge storniert wurden, war ich in diesem Gewerbe indirekt ebenfalls betroffen. Nach einer Schulterverletzung habe ich für das Plakatieren bei der SVS um eine Betriebshilfe angesucht. Die Betriebshilfe wurde mit der Begründung abgelehnt, dass 2019 mein Einkommen zu hoch war. Beim Härtefallfonds habe ich nach Vorlage des gleichen Einkommensteuerbescheides weniger erhalten, weil mein Einkommen zu gering war. Es wäre schön, wenn die Politik endlich einmal einhalten würde, was sie versprochen hat. Nicht ständig neue Pakete zu schnüren, wo am Ende keiner weiß was, wieviel davon und vor allem wo zur Auszahlung gelangt ist. Für das Plakatieren bräuchte ich eigentlich einen neuen Kleintransporter. Abgesehen davon, dass diese Anschaffung aufgrund der ganzen Situation für mich momentan nicht leistbar ist, kommen hier in Zeiten wie diesen sogar noch neue Steuern (NOVA) dazu. Mich wundert, dass wir Kleinunternehmer so geduldig sind und uns das alles gefallen lassen.

Die Freiheitliche Wirtschaft hat Helga Haingartner besucht und zu ihrer Lage befragt. Von links: KR Dr. Erich Schoklitsch, Helga Haingartner, Birgit Eberhard

Die Freiheitliche Wirtschaft hat Helga Haingartner besucht und zu ihrer Lage befragt.
Von links: KR Dr. Erich Schoklitsch, Helga Haingartner, Birgit Eberhard

Bis auf das Infoblatt, das ich bekommen habe und welches draußen an meiner Eingangstür hängt, habe ich von unserer Standesvertretung nicht viel gehört. Außer der Kritik über die Medien, dass mobile Friseure keine Tests benötigen. Digitalisierung ist in unserer Branche kein Thema. Verkaufsware läuft zwar nur mehr über das Internet, aber wozu sollte ich da einen Shop aufmachen? Wegen einem verkauften Shampoo dieses einzeln einpacken, damit zur Post gehen und mich dort eine Viertelstunde anstellen, damit mir am Ende 1,50 Euro übrigbleibt? Aber gut, das ist nicht alles wegen Corona so. Das hat sich schon die letzten Jahre hindurch abgezeichnet. Heute sind Zusatzprodukte in großen Internetshops günstiger als ich sie bei meinem Großhändler einkaufen kann.

In meinen 40 Jahren Selbstständigkeit war ich nicht einmal 14 Tage Urlaub auf einem Stück. Einmal habe ich mich privat an einem Freitag im Sanatorium Hansa operieren lassen, damit ich am Dienstag wieder im Geschäft stehen kann. Und dann sollst du wochenlang zusperren ohne es zu merken? Ich habe alles runtergeschraubt, sogar den Lesezirkel habe ich schweren Herzens gekündigt. Ich möchte wirtschaftlich überleben und als Selbstständige in Pension gehen. Was sonst sollte ich auch machen, wer würde mich noch nehmen? Branchenkollegen würde ich den Rat geben sofort aufzuhören, darauf zu schauen einen guten Job zu haben und nie mehr selbstständig zu sein in Österreich. Wo ich mich in einem Jahr sehe? Ein Jahr näher an meiner Pension (lacht).